22h48min war eine Aktion des Konzeptkünstlers Norbert Krause, bei der er 22 Stunden und 48 Minuten im geparkten Auto sitzen blieb – genauso lange, wie ein ein Auto in Deutschland jeden Tag ungenutzt herumsteht. Die Radkomm hat sich zum Interview zu ihm gesetzt. Ein Gespräch über negierte Ereignisse, enttäuschte Utopien und Autos, die im Weg stehen, obwohl sie gar nicht da sind. Foto: Vesko Gösel.


Deine Aktion 22h48min erinnert mich an 4′33″, ein Musikstück des Avantgarde-Komponisten John Cage, in dem kein Ton gespielt wird. Du sitzt 22 Stunden 48 Minuten in einem Auto, das sich nicht bewegt und keinen Ton von sich gibt. Gibt es Gemeinsamkeiten?

Das ist echt spannend, dass du das fragst. Mir ist das erst vor ein paar Tagen bewusst geworden. Die Gemeinsamkeit ist so ein bisschen das Nicht-Ereignis. Wenn du Musik machst, ist die Musik das Ereignis. Wenn du Auto fährst, ist das Parken das Ereignis. Und das wird beides negiert.

Dadurch passieren dann aber andere Dinge. Bei Cage gab es bei der Uraufführung ein Gewitter und Regen, der auf die Konzerthalle prasselte. Hier sind es die Leute, die du viel mehr wahrnimmst, die auch rein kommen und mit denen du ins Gespräch kommst. Das ist vielleicht eine Parallele.

Was ist für Dich der Reiz dieser automobilen Zweckentfremdung?

Mit der Aktion will ich das Augenmerk darauf richten, dass das Auto 95 Prozent des Tages steht, oder eben 22 Stunden und 48 Minuten. Vielen, die hier vorbeikommen, ist das nicht klar und die sind alle echt beeindruckt.

Ich hoffe, diesen Zahlen eine Emotion zu geben. Dass man merkt, das ist irgendwie nicht gut, das können wir nicht so lassen, daran müssen wir was ändern. Natürlich nicht mehr Auto fahren sondern weniger Autos für die gleiche Mobilität nutzen.

Auch andere Künstler haben in Kölner Autos zum Stillstand verdammt: HA Schult hat ein Flügelauto auf dem Stadtmuseum gelandet und Wolf Vostell seine Plastik „Ruhender Verkehr“ auf dem Hohenzollernring abgestellt: Ein Opel Kadett in 15 Tonnen Stahlbeton. Warum legt die Kunst gerne Autos lahm?

(Lacht) Vielleicht hängt es damit zusammen, dass die Kunst gerne Dinge mit Sachen macht, für die sie nicht geschaffen sind. Erwin Wurm fällt mir auch noch ein, der ein sehr aufgeplustertes Auto irgendwo hingestellt hat, das dann auch nicht mehr fahrtauglich war.

Es ist dieser andere Ansatz: Was kann man noch mit Dingen machen, außer das, wofür sie gedacht sind? Vielleicht ist das der Punkt, warum dann solche Sachen daraus entstehen.

Das Auto war ursprünglich eine Utopie von Bewegung und Fortschritt. Ist es heute Symbol für Stillstand und Rückschritt?

Ja, vielleicht noch einen Schritt weiter zurück. Wenn man den Leuten von vor 100 Jahren zeigen würde, was aus dieser Euphorie am Anfang geworden ist: Zuerst hatte einer im Dorf ein Auto und toll, dann konnte man mit dieser Kutsche ohne Pferde vorfahren. Doch wie hat sich das entwickelt und was haben wir dafür alles aufgeben müssen, Schritt für Schritt?

Vielleicht hätte man dann damals gesagt: Oh je, das wollen wir aber gar nicht! Dass alles mit Autos vollgeparkt ist, die Luft viel schlechter ist, und so weiter und so fort. Von daher sind natürlich weniger Autos gleich mehr Lebensqualität.

Gibt Parken als Stillstand dem Auto seine Berechtigung?

Wir brauchen zumindest den ganz kurzen Stillstand um mal einsteigen zu können.

Wenn man in Richtung autonomes Fahren denkt, dass Autos gar nicht mehr parken sondern nur noch hin und her düsen, dann haben wir wahrscheinlich das Problem, dass in den seltensten Fällen genau dann jemanden zusteigt, wenn der andere aussteigt.

Dadurch hast du dann automatisch ein Drittel mehr an Wegen, die zurückgelegt werden. Das heißt, ohne den Stillstand wird es dann wieder ein Ressourcenproblem. Also irgendwo liegt immer der Hund begraben.

Ist das der Grund, warum es in Deutschland 160 Millionen Parkplätze gibt? Das sind doppelt so viele wie Menschen und viermal so viele wie Autos. Warum sind Parkplätze trotzdem so knapp?

Da ist einmal der Parkplatz zu Hause, der Parkplatz an der Arbeit, der Supermarktparkplatz und wahrscheinlich noch ein vierter für die Freizeitaktivitäten. Wir wollen natürlich alle da parken, wo das Leben stattfindet.

Und das ist wieder ein großes Problem: Denn da, wo das Leben stattfindet, möchte man eigentlich keine Autos parken haben. Da beißt sich die Katze schon wieder in den Schwanz.

Der Bundesverband Parken e.V. mit Sitz in Köln kümmert sich professionell um parkende Fahrzeuge. Mitglieder sind Parkhäuser, Tiefgaragen und Flughäfen. Das Fachmagazin „Parken aktuell“ erscheint vier Mal im Jahr. Braucht Parken eine Lobby?

Das ist ja total verrückt – ich glaube da lasse ich mir mal ein Magazin zuschicken. Die sollten einen Bericht hierüber machen! (Lacht)

Braucht Parken eine Lobby … vielleicht irgendwie schon. Aber wie so oft bei Lobbyarbeit ist die Frage: Was geht dann den Bach runter? Wo sollen noch mehr Parkplätze hin? Natürlich können wir jetzt anfangen, unterirdisch zu bauen – damit habt ihr in Köln nicht so gute Erfahrungen gemacht. Oder Parkhäuser in die Höhe zu bauen. Aber an den Stellen könnte man vielleicht auch Wohnungen für Menschen bauen.

Ich glaube, innerstädtisch sind wir einfach an einem Punkt, der schon über der Sättigung liegt. Da ist Parken e.V. fast schon ein bisschen humoristisch.

Ist Stillstand durch Parken die Antithese zu einer Gesellschaft, die ständig in Bewegung ist?

Genau! Wir wollen nur möglichst schnell von A nach B kommen und wenn wir länger brauchen ist das verlorene Zeit.

Als ich hier angekommen bin, war ich relativ gestresst. Und darf nun auf einmal nichts mehr machen. Wie soll ich diese 23 Stunden überstehen? Doch irgendwann groovt sich das ein und es entsteht so eine Entspannung. Man guckt den Leuten zu, redet mit jemandem, dann passiert eine halbe Stunde lang nichts, und das ist alles vollkommen in Ordnung.

Vielleicht ist so eine Aktion auch wichtig, um einfach wieder Ruhe reinzubringen, wieder Erdung reinzubringen, was fast schon etwas Meditatives hat. Und wir davon wegkommen, dass wir bei irgendwas Zeit verlieren, was ja totaler Unfug ist. Vielleicht müssen wir da wieder hin: Nicht diese Sorge zu haben, Zeit zu verlieren.

Du hast offenbar kein Sorge, gerade 22 Stunden 48 Minuten zu verlieren. Warum machst du das? Als Selbstkasteiung oder Buße für die Parksünden der anderen?

Nein, um Gottes willen – das hätte ja fast schon religiöse Züge! Es geht eher darum, diese Zeit zu verdeutlichen und dem Ganzen eine Emotionen zu geben, die es vorher nicht hatte und eine Dramaturgie zu geben, die es verdient.

Bisher ist alles noch total entspannt. Ich hatte getippt, dass ich mir nach der Halbzeit schon vor Rückenschmerzen in die Faust beiße, aber es ist alles gut. Es ist keine Selbstkasteiung!

Ich fand es spannend, mich in eine Situation zu bringen, die vielleicht einfach nur große Langeweile mit sich bringt. Denn es passiert ja immer was. Da ist man auch wieder bei Cage. Und die Buddhisten sagen: Wenn irgendwas nach zwei Minuten langweilig ist dann mach’s doch vier Minuten. Und wenn’s dann immer noch langweilig ist, dann mach’s acht Minuten, und so weiter. Und irgendwann wirst du merken: Es ist gar nicht langweilig. So ist das hier auch: Wenn es langweilig wird, muss ich einfach nur sitzen bleiben bis es nicht mehr langweilig ist.

Das klingt nach einem Lernprozess. Glaubst du, man muss parken lernen?

Absolut! (Lacht) Ich glaube, das ist sogar eine Kernkompetenz. Es ist nicht nur Parken: Man muss Warten lernen, man muss Geduld lernen, und man muss vor allem Nichtstun lernen.

Ist Parken der Stau der anderen, also der Radfahrer, Fußgänger und Kinder?

Bestimmt! In diese Parkbucht passen fast nur zwei Kleinwagen rein. Wenn ein SUV das versucht, steht er auf dem Radweg und man kommt zwischen den Stoßstangen nicht mehr durch.

Autos stehen sogar auch im Weg, wenn sie gar nicht da sind. Es ist ja nicht so, dass der Platz dann frei wird und man könnte irgendwas anderes damit machen sondern eine Parkbucht ist meistens mit einem Randstein abgesetzt. Das heißt, es ist eigentlich egal ob das Auto da steht oder nicht: Der Platz ist verloren.

Müssen wir die Nichtparker vor den Parkern schützen, so wie die Nichtraucher vor den Rauchern?

Vielleicht muss man den Parker vor sich selber schützen. Man muss ja nicht gleich so weit gehen, dass man das mit dem Rauchverbot gleichsetzt. Aber gerade bei Parkplätzen kann man sagen: jedes Jahr zwei oder fünf Prozent weniger, und dann gucken wir mal. Was wahrscheinlich sogar gut funktionieren würde.

Und dann auch natürlich guckt, was kann man mit diesen Parkplätzen machen. Kann man da einen Baum hinstellen, oder Sitzgelegenheiten, oder was auch immer, um Innenstädte wieder attraktiver zu machen.

Insgesamt sitzt du hier 22 stunden 48 Minuten. Was würdest du mit der Zeit lieber machen? Oder mit dem Geld für die Parkgebühren?

Ich habe bis jetzt zehn Euro bezahlt es kommen vielleicht nochmal vier dazu. Für 14 Euro kann man zwei Stunden ins Kino gehen. Ich finde das einen sehr günstigen Preis dafür, dass ich 24 Stunden hier fast in der Innenstadt stehe.

Ich hätte alle möglichen Sachen machen können, aber gerade habe ich das Gefühl, das ist genau der richtige Ort hier zu sein und auf Menschen zu treffen, mit denen ich vorher noch nie Kontakt hatte und gleichzeitig aber auch Zeiten zu haben, wo einfach nichts passiert und ich dann quasi mit mir Kontakt habe. Ich wünsche mich gerade nicht woanders hin – alles ist gut!