In diesem Gastbeitrag veröffentlicht Gastautor Martin Herrndorf im RADKOMM-Blog einen offenen Brief zum Thema Sicherheit von Radlerinnen und Radlern in Köln.

 

Sehr geehrte Frau Oberbürgermeisterin Henriette Reker,
Sehr geehrter Herr Polizeipräsident Uwe Jacob,
Liebe Landtagsabgeordnete und Ratsmitglieder, lieber Arndt, lieber Andreas,
liebe Kölner Rad-Community,

Wir, die Radfahrerinnen und Radfahrer, sind auf den Schutz der Polizei angewiesen. Wir sind die schwächeren Verkehrsteilnehmer. Wir brauchen den Schutz den Staates. Für unsere körperliche Unversehrtheit.

Leider hat sich bei mir, und zahlreichen anderen Radfahrerinnen und Radfahrern, in den letzten Wochen und Monaten der Eindruck verfestigt, dass die Polizei nicht bereit und willens ist, diese Rolle auszuüben. Dass sie die Radfahrer schutzlos stehen lässt. Viele Radfahrerinnen und Radfahrer, die ich kenne, sind deswegen wütend.

Vor allem nach gestern. Denn das, was gestern passiert ist, ist absolut symptomatisch für die Lage der Kölner Radfahrerinnen und Radfahrer sowie die zentrale Verantwortung, die die Polizei und andere Behörden der Stadt dabei spielen.

Den ganzen Tag wurden, nach diversen Berichten, schwerpunktmäßig Radfahrerinnen und Radfahrer in der ganzen Stadt kontrolliert. Autofahrerinnen und Autofahrer dagegen kaum, von den Radverbänden immer wieder angemahnte Themen wie Überholabstände oder Schulterblick beim Rechtsabbiegen dem Vernehmen nach gar nicht.

Und abends passiert es dann: Diverse Radfahrerinnen und Radfahrer landen im Krankenhaus – der Mitteilung nach ohne eigenes Verschulden, bei den beteiligten Autofahrern gab es Trunkenheit und Fahrerflucht.

Das ist natürlich ein zufälliges Zusammentreffen.

Aber es spiegelt wieder, was jeden Tag auf den Straßen passiert. Radfahrerinnen und Radfahrern werden willkürlich und fern von Gefahrenpunkten kontrolliert. Oft an Punkten, an denen die Regeln uneindeutig oder besonders unsinnig sind – und wo sich deswegen die Regelverstöße häufen und leicht ahnden lassen.

Währenddessen werden Radarkontrollen öffentlich angekündigt, Raserinnen und Raser haben die Warn-App während der Fahrt offen. Anzeigen von Radfahrerinnen und Radfahrern laufen dutzendweise ins Leere, weil sich Fahrer nicht nachvollziehen lassen oder weil bei einer Nötigung und Beleidigung „kein Schaden“ entstanden sei. Autofahrerinnen und Autofahrer fahren völlig ungeniert und quer durch die Stadt massiv zu schnell, halten tausendfach Überholabstände nicht ein, benutzen das Handy bei der Fahrt (auch in großen Baustellenfahrzeugen), kreuzen „mal eben noch“ bei der ersten Sekunde Rot. Weil es nicht geahndet wird.

Es geht nicht nur um die Rennen, es geht um den Verkehr im Ganzen.

Ich und viele andere Suchen das Gespräch mit Polizeibeamten vor Ort. Die Ergebnisse sind erschütternd. „30cm Überholabstand“ auf der Venloer Straße seien ein guter Kompromiss. Überholabstände ließen sich sowieso nicht rechtsgültig kontrollieren und man habe nicht genug Personal. Ja, der Mindest-Überholabstand betrage zwei Meter, aber den würde er auch nicht einhalten, das ginge ja nicht (Polizist zu einer Taxifahrerin). Radfahrer würden sich eh nie an Regeln halten. „na, wenn Sie hier nicht Radfahren wollen und Ihnen die Luft zu schlecht ist, wieso wohnen Sie dann in der Stadt?“. Alles Aussagen von Kölner Polizeibeamten.

Nochmal: Wir, die Radfahrerinnen und Radfahrer in Köln, brauchen den Schutz der Polizei.

Aber wir bekommen ihn nicht.

Damit wird die Straße zum rechtsfreien Raum. Zur „No-Go“-Area in die Menschen sich nicht trauen, weil sie Angst haben. Das ist keine Übertreibung: Frau Reker, auch Sie trauen sich nicht aufs Rad. Das liegt auch daran, dass die Polizei ihren Job nicht macht.

Der Kölner Hauptbahnhof und sein Umfeld sind jetzt sicher. Das ist gut. Jede und jeder Kölner und Besucher soll sich zu jeder Tages- und Nachtzeit an jedem Tag des Jahres ohne Bedenken dort aufhalten können. Dort vertraue ich der Polizei und schätze ihre Arbeit.

Leider gilt das nicht für unsere Straßen. Ich möchte, dass jede Kölnerin und jeder Kölner sich zur jeder Tages- und Nachtzeit in jeder Straße traut, mit dem Fahrrad zu fahren. Von meiner Nichte auf dem Schulweg bis zu Frau Reker auf dem Weg ins Rathaus. Und ja, auch ich, der Prototyp des selbstbewussten Radlers, möchte keine Angst mehr haben.

Das geht, andere Städte beweisen das.

Wenn man die Täterinnen und Täter und nicht die Opfer kontrolliert.

Wenn man Vergehen wie Geschwindigkeitsüberschreitungen unangekündigt und permanent kontrolliert und strikt ahndet. Weil man nur dann Mehrfachtäter und Intensivtäter erwischt.

Wenn man bei Falschparker konsequent abschleppt. Weil man damit ein Signal für Rechtstreue im Straßenraum setzt und der Verrohung der Verkehrssitten entgegenwirkt.

Wenn man Straßenraum endlich und konsequent umverteilt, wie von #RingFrei gefordert und im RVKI für zahlreiche Straßen geplant. Weil man dann echte Schutzräume und Respekt für Radfahrerinnen und Radfahrer schafft.

Dafür braucht es ein Signal von oben. Andere Dienstanweisungen. Ein anderes Bewusstsein. Es freut mich, wenn es gute Gespräche zwischen ADFC und Polizei gibt. Aber es kommt unten, auf der Straße, nicht an. Und dort zählt es.

Als Repräsentanten der Stadt sind Sie für die Sicherheit ihrer Einwohner mit verantwortlich. Der gestrige Tag zeigt, dass Sie dieser Verantwortung momentan nicht nachkommen.

Ich wünsche den Opfern der gestrigen Unfälle baldige Besserung. Ich wünsche uns allen eine Polizei, die sich effektiv an die Seite der Schwächeren stellt.

Mit freundlichen Grüßen,

Martin Herrndorf

ps: Der parallel und ohne Abstimmung geschriebenen Analyse von Christoph Schmidt, ADFC Köln, kann ich mich voll umfänglich anschließen. Auch ich möchte nicht mehr neben weißen Rädern stehen.

Nachtrag: Die generischen Email-Adresse der Hauptadressaten sind oberbuergermeisterin@stadt-koeln.de und poststelle.koeln@polizei.nrw.de. Schickt ihnen gerne eure Erfahrungen mit Polizeikontrollen und dem Umgang im Kölner Verkehr.